Unser geliebter Neroli    

Jetzt liegt er entspannt auf der Seite, Pfoten hat er so niedlich hingelegt, als ob er galoppiert.
Alles an ihm ist schön. Seine Lebensfreude, seine strahlenden Augen, seine Art sich mitzuteilen.
Für ihn ist alles Freude, Hauptsache er ist mit uns zusammen.
Zum ersten Mal haben wir ihn mit seinen Welpengeschwistern gesehen, da sahen sie alle aus wie kleine Maulwürfe. Sie lagen im Kreis und dieser Kreis war ständig in Bewegung... das heißt, die kleinen Maulwürfe waren ständig in Bewegung. Irgendwie robbten sie ständig eine kleine Position weiter, der Rest rückte sofort nach, keine verlor den Anschluss an sein kleines Geschwisterchen.
Dann haben sie das erste Mal die Äugchen geöffnet, und alle hatten blaue Augen. Als sie dann alle die ersten Laufversuche unternahmen, purzelten sie noch hin und her und knickten ein. Bis dahin waren sie noch alle kleine Beauci-Geschwisterchen und wir waren gespannt darauf zu erfahren, ob sich einer für uns entscheiden würde...
Beim nächsten Besuch in Frankreich war es dann so weit.
Es waren 2 Würfe, viele Beaucis und alle knabberten an meinen Schnürsenkeln, zwickten mich in den Finger und krabbelten über meine Beine. Ich saß zwischen ihnen.
Da war ein Kleiner unter ihnen. Er strahlte uns mit den schönsten bernsteinfarbenen Augen an, die man sich vorstellen kann. Hallo Eltern. Er setzte sich schief vor uns hin, strahlte, legte sein Köpfchen schräg und sagte, schön, dass es euch gibt. Ich zwicke nicht, ich kann mich schon hinsetzen, und ihr seid also ab jetzt meine neuen Eltern. Er strahlte uns voll begeistert an.
Er lief uns überall hin nach, und auch als er später mit seinen Geschwisterchen auf der Wiese sein Futter bekam und später dort spielte, er verlor niemals den Blickkontakt zu uns. Diese wunderbar, samtbraungestäubtenbernsteinfarbenen Augen voller Wärme.
Als wir abfuhren, lief er mit er uns bis ans Tor. Wieso nehmt ihr mich nicht mit? Ich gehöre doch zu euch... Neroli, wir dürfen dich erst in 2 Wochen mit nach Hause nehmen. Wir wären am liebsten zwei Wochen lang in Haumont geblieben, um ihm nahe zu sein.
Zwei Würfe. Ein Neroli. Er war der dunkelste Beauci, hatte kaum Rotfärbung im Gesicht und er hatte die hellsten Äugchen von allen. Unsere Sorge, dass zwischenzeitlich jemand die Maman umstimmen würde, erwies sich als unbegründet. Wir erkannten ihn sofort wieder, außerdem erkannte er uns sofort wieder. Hallo Eltern, heute geht’s also los.
Die Maman verfütterte noch ihr ganzes Tatar, versicherte uns, dass er auch schon Wurmtabletten bekommen hätte (fand ich eigentlich egal, hm, mein Neroli hat doch eh keine Würmchen...) und verköstigte uns mit leckerem französischem Essen.
So fuhren wir alle gut gesättigt an einem stierheißen Sommertag nach Hause, das
heißt, ich glaube an dem Tag fuhren wir erst mal nach Hähnlein, um ihm sein neues, bald fertiggestelltes Zuhause zu zeigen.
Wir waren alle so glücklich, Neroli bei mir auf dem Schoß, kuschelte sich schön ein, und Jörg wollte gerne, dass wir mit dem Fahren tauschen, damit er ihn auch mal kuscheln kann.
In Hähnlein angekommen stiegen wir aus dem klimatisierten Auto und eine heiße, unangenehm klebrige 38°C Hitze umwaberte uns. Oje, das könnte ihm zu heiß werden... das ist er doch gar nicht gewohnt... puuuuh, und er hat doch vorhin so viel gegessen.
Es wurde ihm zu heiß... er war es halt nicht gewohnt... und das Tatar und die Wurmtabletten betraten gemeinsam zum ersten Mal deutschen Boden. Bei den Nachbarn. Auf deren Terasse, die noch aus Euroholzpaletten bestand... Das Gute war, das es zwischen den Ritzen versacken konnte.
Ein paar Tage später habe ich dann gelernt, dass die kleinen Würmchen auch nicht vor Därmen haltmachen, deren Eigentümer man liebt...grins...

 

 

 

 

Wir haben noch einen anderen Hund, eine Briard-Hündin. Adina ist als Welpe fast ohne menschliche Sozialkontakte in der Wurfkiste aufgewachsen. Die Züchterin war zu den Essenszeiten da, vielleicht ab und an mal die Kinder, dann hatten die Welpen noch eine kleine Lutschkatze, das war’s. Die kleine Katze war auch ein Welpe und wurde von den Hunden bespielt, getestet, angeknabbert, und was kleine Welpen eben halt so machen. Wurde es der kleinen Katze zu viel, ist sie einfach auf einen Baum geflüchtet.  Und sie war immerzu nass. Weil alle Welpen sie ständig ableckten.
Adina wollte gar nicht mit uns mit. Sie war unser erster Hund, wir hatten Null Ahnung, hielten sie für schüchtern. Sie wollte auch gar nicht mit ins Haus, im Haus rannte sie sofort hinter die Couch. Der Garten, uninteressant. Wir öffneten ihr umsonst die Türe hinaus in den Garten. Also, wie wir im Laufe der Jahre dann durch Erfahrung gelernt haben, war sie also nicht schüchtern. Sie war, was Neues betraf, sehr schnell geängstigt, Hydranten an der Straßenseite, das waren für sie furchteinflößende Wesen. Im Wald schlurfte sie kilometerweit hinter uns her, ging keinen Schritt weiter, wenn sie von kleinsten Hunden angemacht wurde. Sie blieb wie ein in den Boden gerammter Pflock stehen. Ende. Die älteren Ladys kicherten und machten sich über Adina lustig. Hach, das war peinlich, so ein großer Hund und ging keinen Schritt weiter. Wir haben Bücher gewälzt, haben versucht, ihr das Spielen beizubringen, das Kuscheln angenehm zu machen, haben versucht, mit ihr zu kommunizieren, sie zu erziehen, ihr das Leben mit uns schmackhaft zu machen. Nee, sie wollte nicht. Jörg hatte damals eine sehr nette Kollegin. Als ich eines Tages sah, wie die beiden miteinander umgingen, fielen mir bald die Augen aus dem Kopf. Adina war ja ein ganz normaler Hund bei ihr! Als der Ehemann der Kollegin eines Tages im Büro stand, hat Adina eine ganze Herzwolke über ihn ausgegossen. Sie lief auf ihn zu, begrüßte ihn wedelnd, warf sich vor ihm hin, dass er sie am Bauch streicheln konnte, freute, ja sie freute sich, rollte entzückt die Augen. Wir verabredeten uns mal mit den beiden auf einen Waldspaziergang. Danach wusste ich es definitiv, dass wir für Adina nicht die kompatiblen Eltern waren. Mismatch.
Und so wurde Adina im Laufe der Jahre ein Hund, der zwar nichts anstellte, sich nie erziehen ließ, immer nur nach ihrem Gusto lebte, ein echter Kontra. Wollte ich hier, ging sie da und umgekehrt. Wo sie nur konnte, lief sie auf Leute zu, die offensichtlich vor ihr Angst hatten. Zog ich sie auf der Straße vom Auto weg, zog sie hin. Sie fraß unterwegs auf den Feldern jeden Scheiß, der da so herumlag, testete aber wie ein Vorkoster alles aus, was wir ihr so hinhielten. Globuli: negativ. Schüssler-Tabletten wurde, weil sie größer waren, sensorisch von der Zunge erfasst und in 100% aller Fälle detektiert und herausgespuckt. Leg’ dich mal hier hin, dann ging sie weg. Und so weiter. Und so weiter. Mismatch eben.
Nero wurde die ersten Tage von ihr komplett ignoriert. Sie schaffte es immer, den Kopf so weg zu drehen oder in die Luft zu starren, das er außerhalb ihres Blickfeldes war. Am dritten Tag dann, der Süße gab es nicht auf, er war 2 Monate alt, holte er ihr ganzes Spielzeug (nahezu unbenutzt, sie spielte nicht...) und legte es im Kreis um sie herum.
Das war wunderbar, was dieses kleine Wesen gemacht hat. Er hat mit seinen 2 Monaten etwas gemacht, was uns absolut wunderbar vorkam.
Na, sie ging nicht darauf ein, wie sie halt so ist, aber dieses Bild hat sich in unser Herz eingebrannt. Ebenso, wie viele, viele andere Bilder.
Er hat sie unermüdlich angespielt. Irgendwann hat sie dann entdeckt, dass sie ihn jagen, verfolgen kann. Von dem Zeitpunkt an war ihr beider Leben nun für die nächsten Jahre davon geprägt, dass Adina den Schnucki jagte, verkloppte, und er an ihr sein kämpferisches Verhalten erprobte. Die beiden kloppten sich dann liebevoll und kämpften nach Herzenslust, um dann wieder einträchtig nebeneinander auf der Decke zu liegen.
Eigentlich kann man sagen, dass Nero verhinderte, dass Adina sich in ihre eigene Welt zurückzog. Er hat sie ins aktive Hundeleben zurückgeholt, auf den Spaziergängen, so weit es ging. Zuhause schlief sie ebenso unermüdlich weiter.
Das war schon ein Kontrastprogramm. Da Adina, ihr Leben verschlafend, lauffaul, träge, in sich gekehrt, kontra. Hier Neroli, Lebensfreude pur, auf Entdeckerreisen jeden Tag, immer ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Es macht einen glücklich, mit Nero zusammen zu sein. Sein Fell zu riechen. In seine Augen zu blicken. Seine Gegenwart macht glücklich und wenn man ihn anschaut, wird es einem warm ums Herz. Ich schaue ihn gerne an, halte Blickkontakt mit ihm, genieße dieses Glücksgefühl, das dabei fließt. Er ist unser Geschenk. Wir haben ein ganz wertvolles Geschenk. Wir lieben ihn. Er liebt uns. Er liebt mich so, wie ich bin. Das macht es so unkompliziert. Das Leben ist schön.


Als er noch klein war, also so weit man bei einem Beauci überhaupt jemals von klein sprechen kann, wich er mir beim Spaziergang niemals von der Seite. Er klebte an meiner Wade und er himmelte mich an, er hielt ständig Blickkontakt und strahlte.
Bei einem dieser Spaziergänge ist er ein bisschen weit in sein erstes Maisfeld hineingelaufen. Aber der Kleine wusste sich immer gut zu helfen, ich hatte schon das Vertrauen in ihn und durch Rufen konnte ich ihn zu mir lotsen. Er stakste aus dem Maisfeld und hielt einen Zweig quer im Fang, oh wie süß, ich machte gleich ein Foto. Für ihn war jeder Tag eine Reise in ein neues Abenteuer und begeistert machte er alles mit. Öfters kam er schnell zwischen meine Beine gerannt, wenn, ja ich weiß gar nicht genau warum eigentlich. Da stand er dann, betrachtete die Situation gelassener, und meine Befürchtungen, er würde sich zu einem Mama-Hundchen entwickeln, haben sich nie bestätigt. Nero wuchs zu einem souveränen Hund heran, der sehr mutig war und über alle Maßen klug.  Die Franzosen sagen zu der Rasse auch gentilhomme de la campagne. Landedelmann.  Die Schönheit liegt in seiner Seele. Er steht einfach nur da und schaut einen mit der ganzen Wärme seiner Seele an. Weltfrieden. Liebe. Frieden. Glück

 

 

Wir wollten seine Verantwortung gegenüber ihm überlassenen Dingen testen und gaben ihm auf den Spaziergängen oft mein Autoschlüssel-Ledermäppchen zum Tragen. Das sah eh schon abgelutscht aus. Das trug er die ganze Zeit über, hat es nie nie abgelegt und die neue Aufgabe hat ihm sichtlich etwas bedeutet. Als ich es dann eines Tages nach langer Sucherei am Rande eines Nervenzusammenbruchs endlich im Garten wiederfand, war ich zum Tausch bereit. Wir zwei setzten uns zusammen und ich tauschte mit ihm das Schlüsselmäppchen gegen einen anderen Gegenstand.  Heute weiß ich gar nicht mehr, was ich ihm dafür gab.  Verlieren oder den Gegenstand irgendwo vergessen, das gab es bei ihm nicht.
Was man ihm übergab war bei ihm gut aufgehoben.

 


Seine Malzeiten bedeuteten ihm so viel, dass er während der Vorbereitung auf dem riesigen Teppich derart hin und her sprang, dass das Wohnzimmer neu gestaltet wurde. Teppich verrutschte, wurde in Falten gelegt, er sprang wie eine Sprungfeder mit richtig hohen Sprüngen hin und her, und sah soooo begeistert aus... Das war das höchste für ihn.
Wenn ich heute daran denke, wie er 11 Jahre lang ernährt wurde, der Ärmste, Trockenpellets mit Wasser. Er hat es immer gerne gefressen, ich habe auch ohne Hinterfragen diese Vollwertkost angenommen. Sind ja eher getreidelastig die Pellets. Fleisch und Abwechslung gegen mehr oder weniger Getreide eingetauscht. Schlechter Tausch. Hunde fressen alles gerne und vor allem Fleisch. Ich würde auch schön blöd schauen, wenn ich ab heute nur noch Astronautennahrung aus der Tüte zu quetschen hätte. Kein sensorisches Erlebnis mehr.
Heute will er nicht mehr wie eine Sprungfeder hoch hin und her springen. Ist ihm bestimmt zu anstrengend.  Dafür aber bekommt er alles.  War notwendig.  Alles gemischt. Ohne Gewürze. Fleisch, Pute, Geflügel-Innereien, Hühnerhälse, Rindeleber, Joghurt, Frischkäse, Kartoffeln, Quinoa, Reis, Karotten, Erbsen, Zucchini, und und und. Er sieht aus, als ob er am liebsten in die Schüssel springen würde zum Essen, wow, lecker, mehr, her damit, Augen leuchten, alles reinsaug... nach wenigen Sekunden ist alles vorbei... Mama, mehr...
Später Schnucki...
Früher rannte er immer sofort mit Adina in den Garten zum Verdauungskämpfchen, heute legt er sich dann zum Verdauungsschläfchen einfach hin. Wird halt auch älter der Süße. Ich betrachte ihn liebevoll, wie er so da liegt,  auf der rechten Seite, manchmal schiebt er dabei die linke Vorderpfote unter die rechte.  Er kreuzt gerne die Vorderpfoten. Dann geht’s ihm gut. Wenn ich so sein dunkles Fell betrachte, seinen Brustkorb, seine Beine, seinen Rücken, sein Köpfchen, dann durchströmen mich große Glücksgefühle. Er ist ein Geschenk. Wir alle wissen das.

 

 

Wir versuchten Adina zu erziehen, sie zu sozialisieren, sie mit anderen Hunden zusammen zu bringen. Ja, mit anderen Hunden zusammen klappte es einigermaßen. Aber nur, wenn wir gemeinsame Spaziergänge unternahmen. Trafen wir unterwegs andere Hunde, war sie einfach nur quäksig und zickig. Im Rudel übernahm sie dann sehr schnell die Funktion der Tante... sie textete Hunde, die einen anderen Hund nicht nett behandelten, endlos mit Gebelle zu. Die andere Funktion war, das Rudel zusammenzuhalten. Phylogenetisch gesehen war das ja auch ihr Job, aber die Exprimierung lief so, dass sie gellend bellend alle anmeckerte, die zurückblieben. Unterhaltungen wurden schwierig. Das war manchmal nervig.
Also sie wusste nach 3 Jahren, als Nero zu uns in die Familie kam, dass es so was wie gewünschtes Verhalten gab und sie wusste definitiv, wo ihr Mittelfinger war. Manche Sachen klappten dann doch wie von selbst,  HIER (wenn man einen Keks in der Hand hielt) und SITZ, bevor man ihn übergeben wollte. Das waren also auch die ersten Dinge, die Nero lernte, mit 2 ½ Monaten konnte er das. Was heißt konnte, er sah es sich einfach ab und machte es nach.
Er war irgendwie von Anfang an so pflichtbewusst. Er verlor niemals Dinge, die man ihm übergab. Und er benutzte pflichtbewusst sein Hundekörbchen, auch wenn alle vier Beine heraushingen. Er wuchs so schnell, unglaublich. Zwei Mal wurde ihm sein Körbchen zu klein. Das ging so schnell, wenn wir den Kauf eines neuen auf die kommende Woche vertagten, hingen dann schon die Beine schon richtig heraus.
Zwischen Adina und Nero herrschte eine Eintracht im Jagen und Verfolgen. Adina war immer die Jägerin, Nero war immer der, der ihr zu entkommen versuchte. Irgendwie hatte er sein Körbchen zur Tabu-Zone deklariert. Wenn er dann genug hatte, raste er auf sein Körbchen zu, warf sich hinein, platsch, segelte auf dem glatten Boden in seinem Körbchen durch eigene Schubkraft noch ein paar Meter weiter und, zum Stillstand gekommen, blickte er sie, alle vier Beine heraushängend,  so souverän an, dass sie ihn dort wirklich niemals behelligte.
 Das war schon manchmal ein Krötchen, unsere Dini. Im Feld lockte sie den Kleinen, mit seinen frischen, weichen Ballen immer ins Maisstoppelfeld. Dann jagte sie ihn vor sich her, bis er dann quietschend zurück auf den Weg lief. Aber irgendwie machte es ihm auch Spaß, denn das Spielchen wiederholte sich in einer Endlosschleife, und dazu wurde er ja auch immer noch von ihr „verkloppt“.  Eines Tages dann gab es kein Maisstoppelfeld mehr, und die beiden kämpften gleichberechtigt und Neroli erprobte sich an ihr.
 Manchmal glaube ich, dass Adina Nero am Anfang „abschieben“ wollte. Im Urlaub in den Bergen, wenn denn beide nebeneinander liefen, lief Adina so, dass Nero immer am Abhang laufen musste. Das war häufig sehr stressig. Nero war in der Lage, Abhänge hochzuklettern, die nahezu senkrecht waren. Das war beruhigend. Einmal drängte sie ihn so nah an den Rand, dass er tatsächlich abrutschte und ein paar Meter den Abhang herunter rutschte. Wir konnten dort nicht herunter, das war zu steil und zu rutschig. Also blieben wir ruhig , gingen in die Hocke und feuerten ihn an. Wie ein kleiner Traktor arbeitete er sich weiter und weiter hoch und blickte uns dabei in die Augen. Er blickte uns die ganze Zeit dabei in die Augen. Das war unser Band.
Wie haben wir ihn geherzt und geknutscht, als er wieder oben war. Unser kleiner Traktor.
Als er dann älter wurde, und öfter mal seinen Kong den Abhang herunter schnickte, war es eine Freude zu sehen, wie er sich an wirklich fast senkrechten Stellen hocharbeiten konnte oder gar aus dem Stand mühelos hochsprang. Man brauchte wirklich keine Bedenken zu haben, es sei denn an wirklich riskanten Stellen. Und da hatten wir dann ein Äugchen darauf...
Jetzt ist er 11 und Adina 14 Jahre alt. Adina ist jetzt eine alte Lady, die in ruhigem Breakdanceschritt zeitlupenartig mit uns mitläuft und rigoros stehenbleibt, wenn sie gedenkt, nun nicht mehr weiter mit zu gehen. Ihr Mittelfinger ist mittlerweile sehr ausgeprägt. Man denkt immer, oh, sie sieht vielleicht schlecht. Oje, sie hört uns auch nicht mehr... Naja, sie sieht wirklich nicht mehr so gut, aber sie hört im Garten, wenn Nero in der Küche einen Keks knabbert. Hach, man muss sie einfach liebhaben, grins. Sie kann mit offenen Augen schlafen, wirklich. Man denkt dann häufig, dass sie uns sieht, ist aber nicht so. Wenn man dann zu ihr geht, Adina Gassi ruft, dann dauert es jetzt oft länger, bis sie wieder wach wird.
Nero ist jetzt 11. Es kommt mir so vor, als ob ich ihn schon mein ganzes Lebe lang kenne.  Dabei sind es erst 11 Sommer, die wir miteinander verlebt haben. 11 Winter. 11 Frühling. 11 Herbst. Schade, dass ich kein Tagebuch geführt habe. Dann könnte ich mir die 11 Sommer ins Gedächtnis zurückrufen. Oder die 11 Winter. Wo ist die Zeit nur geblieben? Wie lange wird er noch bleiben.
Manchmal legt er sich zu mir in die Küche, wenn ich am Kochen bin. Er liebt sein neues Essen und kennt genau die Geräusche der Gefäße, in denen leckere Dinge sind. Dann lege ich mich zu ihm auf den Boden und  genieße einfach seine Gegenwart. Dass er da ist. Noch da ist.


Sein elfter Januar in seinem Leben. Abends hatte er sich übergeben und war irgendwie nicht gut drauf. Wir vermuteten Magen-Darms-Verstimmung.  Am nächsten Morgen war er zwar etwas verlangsamt, und zum ersten Mal in seinem Leben musste ich ihn beim Gassi hinter mir her ziehen. Er hing arg hinterher. Nero, so komm doch weiter, komm Neroli, Strulli machen. Irgendwie schien er kreislaufmäßig nicht so richtig gut drauf zu sein und Jörg nahm ihn dann mit ins Büro. Hier lag er ruhig zu seinen Füßen am Bürostuhl und wäre hier wohl auch liegengeblieben, hätte Jörg nicht dass 12Uhr Gassi gemacht. Er muss so wie ein Blatt im Wind gewirkt haben, wankend, schwach. Er ist gleich mit ihm in die Tierklinik gefahren, die Ärztin hatte Nero schon einmal bei einer Magendrehung das Leben gerettet.
Sie liebt Nero sehr. Sie untersuchte ihn und diagnostizierte eine starke  Blutung in den Bauchraum. Von Leber oder Milz ausgehend, das sei so nicht festzustellen, und falls es von der Leber käme, wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, mich anzurufen, um dabei zu sein. Wenn er geht.
Wir fühlten uns jammerelend. Unser geliebter Neroli. Während der OP wurden wir informiert, dass die Blutung von der Milz ausgegangen sei, keine akute Lebensgefahr mehr bestand, Milzentfernung. Das war die gute Nachricht. Die andere Nachricht war, dass sich in der Milz ein haselnussgroßer Tumor befand, der offensichtlich das andere Gewebe noch nicht durchdrungen hatte. Ein Sarkom. Mit dieser Diagnose gab es Hunde, denen  lt. Studien nur noch allerkürzeste Zeit blieb. Wir waren trotzdem voller Hoffnung, dass der Tumor vielleicht doch noch nicht gestreut hatte. Nero wiegt nahezu 47 Kilogramm, er ist ein sportlicher, biegsamer, muskulöser Hund, sein Fell sah glänzend aus, er fühlte sich so gut wie immer. Seine Äugchen waren klar und schön. Er ist richtig gut drauf. Wie immer.
Wir belesen uns und nehmen eine Ernährungsumstellung vor. Viel rohes Fleisch, Innereien, keine Getreidepellets mehr. Viel Gemüse, roh, püriert. Ei mit Schale. Hühnerhälse zum knurbseln, Hühnermägen, Hühnerherzen. Nero würde sich am liebsten in seine Futterschale setzen und darin baden. Er ist die pure Begeisterung. Manchmal testet er die Sachen so witzig. Mit dem zerteilten Hühnerhals konnte er im Maul erst nichts so recht anfangen. Er ließ ihn vorsichtig aus dem Maul gleiten, betrachtete ihn und nahm ihn wieder vorsichtig in den Mund und fing an zu knurbseln. So machte er es mit etlichen Sachen. Vorsichtig im Maul ertastet, dann mit Hingabe das Neue gefuttert.
Er sah sehr gut aus, glänzendes schwarzes Fell, Strahleaugen, Kraft pur. Vor dem Essen sprang er immer noch wie ein Kleiner hin und her, nur nicht mehr hoch in die Luft  und nicht mehr so weit hin und her. Also, alles war eigentlich gut. Wir lebten mit der Diagnose unter Vermeidung aller Sachen, die einem etwaigen  Tumor gut tun könnten.
Ostersonntag.  Nero schwächelt auf einmal arg und ist verlangsamt, schaut etwas wie benebelt, kreisläufig? Seine Schleimhäute sind hell, zu hell, fast weiß. Blaulichtalarm in meinem Herzen.
Tierärztin auf dem Handy angerufen. Wir fahren in die Klinik zu seiner Lebensretterin. Diagnose: Starke Blutung in den Bauchraum von einem Tumor aus der Leber ausgehend. Hb 7,0. Die Hälfte seines Blutes befand sich im Bauchraum. Ein Mensch hätte so einen spontanen Blutverlust wohl kaum überlebt.  Nero würde es auch nicht. Nein, er sollte nicht in der Klinik eingeschläfert werden. Wenn er sterben würde, dann bei uns zu Hause, in seiner gewohnten Umgebung. Wir bekamen Schmerzmittel für 1 bis 2 Tage mit. Er hatte ein morphiumähnliches Präparat gespritzt bekommen, war laufunfähig und wir trugen ihn in einer Decke vom Auto ins Haus.
Ostersonntag Nachmittag. Dieses morphiumähnliche Zeugs ließ in seiner Wirkung nach, Nero lag auf dem Teppich und fing an, mit uns Ball zu spielen. So heftig, wie immer. Zwar im Liegen, aber er hatte Spaß und ein Funkeln im Auge, wie immer. Wir freuten uns wie verrückt. Abends konnten wir Gassi gehen. Er war zwar schwach, aber voller Lebensfreude und Energie und Funkeläugchen. Ab da bekam er jeden Tag ein Kilogramm Tatar zu fressen, bis sein Hb wieder bei 13.5 war. Seine Erholungskurve war richtig gut. Nach einer Woche war er wieder zu 90% körperlich der Alte und wir freuten uns alle. Er sprang draußen wieder fröhlich herum und freute sich des Lebens.
Die Intervalle spielten sich auf eine Wiederkehr von ca 5 bis 7 Tagen ein. Dreimal in Folge blutete er an den Wochenenden wieder sehr stark. Wir päppelten ihn immer wieder auf, viel Tatar, homöopathische Unterstützungsmittel, viel Liebe, wenig Stress. Er bekam nur noch leichtverdauliche Sachen zu essen. Gemüse nur gekocht. Keine Innereien. Nach einer Woche war er wieder fit. Die letzten zwei Wochenenden hat er zwar nicht geblutet, aber zweimal eine Krise gehabt. Letztes Wochenende hat er 36 Stunden gelegen, wie in einer Art Todesschlaf. Wir lagen die ganze Zeit neben ihm. Ich gab ihm, wenn er wacher war und schlucken konnte, Wasser und Hühnerbrühe mit einer Spritze ins Maul. Ich dachte definitiv, dass es kein Sonntagmorgen mehr geben würde. Eine Art komatöser Schlaf.
In der Frühe hörte ich ein lautes Stöhnen, da stand er im Flur. Ich ging schnell mit ihm in den Garten, und da strullte er den längsten Strulli seines Lebens. Ununglaublich. Er kam zurück ins Wohnzimmer, wo wir seit Wochen auf Luftmatrazen schliefen, knallte sich auf seine Decke, warf sich in Jörgs Arme und ratzte. Wir waren alle sehr glücklich.
Am folgenden Tag, Montag, war er nahezu der Alte. Unglaublich. Er war anhänglicher als sonst, lief mir überall hin nach, sgar gleich morgens ins Bad, die Treppe hinauf, ohne ihn zu motivieren. Von sich aus. Der Tag war wunderschön. Draußen beim Spaziergang war er nicht so auf der Höhe, aber wer wäre das nach so einem Wochenende auch schon. Dienstag ging auch, Mittwoch war ein wunderschöner Tag. Aber er schwächelte schon. Mittwoch oder Donnerstag waren wir den ganzen Tag im Garten, Rasen mähen, Unkraut, Pflanzen gießen, chillen und er war die ganze Zeit auf den Beinen, lief um mich herum, warf mir andauernd sein geliebtes Spielzeug zum Werfen vor die Füße, war unermüdlich.  Das gab bei mir den Anstoß, mit ihm spazieren zu gehen. Zum einen wollte er nicht raus, ich animierte ihn stark dazu, er machte es mir zuliebe, und draußen auf der Straße sah ich dann, dass es wirklich nicht ging. Im Haus war nichts zu merken, aber draußen sah man es sofort. Ich ging wieder zurück mit ihm, aber es muss ihn sehr gestresst haben, denn er kam zu hause nicht mehr zu seiner Form zurück.

Seine Blutungen waren an drei hintereinander liegenden Wochenenden sehr heftig, und ich habe es immer wieder geschafft, ihn nach einer Woche körperlich wieder hochzupäppeln. Sicher, seine Lebenslust, Freude und Energie hat ihm dabei geholfen. Aber diese beiden letzten Male war es etwas anderes. Manchmal habe ich das Gefühl, als ob er fiebert, eine trockene warme Nase hat. Oder mal kalt ist. Die Ohren sind außen an der Kante kalt, und die Beine und Fußballen auch. Ich habe ihm dann Wollsocken übergestreift und eine leichte wärmende Decke über ihn gelegt. Dann wurde er wieder warm.  Er kommt gar nicht mehr  zu seiner fast-alles-wieder-gut-Form.  Gassis hielt  ich in den letzten 2 Wochen  kurz, weil ihm die Kraft dazu fehlt.  Er freut sich immer noch wie verrückt, hat sein Wurfspielzeug dabei, würde manchmal gerne auch gerne weiter laufen, aber ich kürze dann mal lieber ab. Ihm fehlt einfach die Energie. Obwohl er körperlich immer noch genauso aussieht, als ob er richtig stark ist.
Er bekommt viele homöopathische Mittel.
Ich weiß, dass er nicht mehr gesunden wird. Wir beide wissen das. Wir versuchen, seine Lebensqualität zu erhöhen. Seine Lebensdauer können wir leider nicht dadurch verlängern, oder vielleicht doch, wer weiß das schon. Nero hat in seinem Leben schon so vieles durchgestanden. Bandscheibenvorfall. Magendrehung. Milzentfernung. Drei starke Blutungen in den Bauchraum. Und er hat sich dadurch niemals negativ verändert. Er ist immer der Alte geblieben, immer volle Kraft voraus. Immer ein Lächeln im Augenwinkel. Und auch mit der Diagnose Hämangiosarkom hat er schon jetzt länger überlebt, als vorausgesagt. Totgesagte leben länger. Komm Nero, sage ich manchmal zu ihm und winkle meinen rechtem Arm zur Hüfte an, Siegerpose einnehmend, komm wir kämpfen beide dagegen und dann schaut er mich begeistert an, ja, machen wir...
Unser Herzblättchen.
Ich kann ihn doch nicht einfach einschläfern lassen und ihm diese ganzen schönen Tage klauen. Ich kann es einfach nicht.  Vielleicht werde ich dann später gefragt werden, warum hast du ihm so früh das Leben genommen? Er hätte noch viele schöne Tage erleben können, die ihm das Herz weit gemacht hätten. Und dann würden mir vielleicht  die Tage gezeigt werden, die ich ihm weggenommen hätte.  Er liebt sein Leben.
Die Frage, WARUM, oder nach dem SINN, hat sich mir glücklicherweise nicht gestellt. Wir suchen nach Lösungen, Strategien und Wegen, ihm das Leben zu erleichtern und ein mehr an Lebensqualität zu bieten. Damit diese süßen kleinen Bernsteinäugchen noch recht lange souverän und in sich ruhend blicken können.  Damit er noch viele schöne Tage sehen kann.

 

Hallo Lothar,
Nero's Körper hatte Freitag abend beschlossen, ihn bis Sonntag früh lahm zu legen. Freitag abend hat Jörg ihn vom Garten-Gassi hereingetragen, weil er nicht mehr in der Lage war zu stehen. Samstag lag er den ganzen Tag, war zwischendurch mal "da", dann habe ich ihm mit einer Spritze Wasser eingeflößt, er konnte noch schlucken. Die meiste Zeit des Tages war er zwischen den Welten... eigentlich nicht mehr hier. Er selber hat davon nichts mehr mitbekommen?...
Die Nierentätigkeit setzte erst Samstag abend wieder ein. Es war kein Blutverlust, die Schleimhäute sahen gut aus. Zwischendurch war sein Körper kalt. Als ich merkte, dass die kalten Pfotenballen durch in die Hand nehmen wieder warm wurden, habe ich sie dann in Wollsocken eingewickelt und ihn mit wärmenden Decken bedeckt.
Sonntag nacht/morgen um 4:00Uhr früh habe ich ein lautes Stöhnen oder so was von ihm gehört, und da steht er im Flur!!!!! Wir schlafen momentan in Schlafsäcken im Wohnzimmer. Er lief dann von selber auf allen vier Beinen, ohne zu wackeln!!! in den Garten und strullte den längsten Strulli seines Lebens. Dann kam er schwanzwedelnd ins Wohnzimmer, knallte sich auf seine Decke neben Jörgs Schlafsack, kuschelte sich in Jörgs Arme, in die er sich förmlich reinschmiegte.
Seitdem ist er wieder da. Er ist wieder Lebensfreude pur, total verfressen, läuft mir wieder überall hin nach, zieht draußen in die Feldrichtung zum Spaziergang und ist wieder fröhlich.
Lothar, wenn ich am Samstag 100 Tierärzte hier gehabt hätte, welcher hätte dann wohl gesagt, der kommt wieder, nicht verzweifeln... und der gestrige Tag war ein wunderschöner, "normaler" Tag für ihn. Er hatte viel Spaß.
Ich kenne mich überhaupt nicht mit den Krankheitsverläufen bei Krebs/Leberkrebs aus. Ich kann nicht sagen, was das eigentlich war. Es ist gut gewesen, dass Nero vorher schon wieder 1 oder 2 Kilo zu viel drauf hatte, die konnte er gut verwerten. Jetzt baue ich die beiden Kilo wieder auf ;-)))
Ich schreibe dir das in aller Ausführlichkeit, weil ich dich fragen wollte, wann man (unter diesem Aspekt) wohl mit der Zelltherapie beginnen kann.
Ich rufe dich dann nachher an, um kurz mit dir zu sprechen.
Bis dann, liebe Grüße,
Ellen

 


Freitag Vormittag 30.April 2010 SMS an Schatzi:
RASEN MÄH’ HECKE SCHNEID NERO GEH MAL VON DER SCHNUR STÄNDIG ÜBER DEN KONG FALL GLÜCKLICH BIN

 

 

 30.April Freitag abend. Neychon-Therapie begonnen. Lothar meinte, morgen ist er wieder richtig gut dabei. Das sei bei allen so. Er horchte sein Herz ab und betastete den Bauchraum und ich meinte, in seinem Gesicht so etwas wie einen erschrockenen Ausdruck wahrgenommen zu haben. Nur für eine Millisekunde. Schrecken, Alarm. Diesen gefühlten Ausdruck gleich wieder weggedrückt, weil er nichts Gutes zu verheißen schien. Wir klammerten uns an jeden Strohhalm.
Der nächste Morgen kam und mittags war er arg schlapp, energielos. Es war weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung eingetreten. Also meinetwegen brauchen wir das nicht noch mal spritzen, sagte ich, das Zeug hilft überhaupt nicht. Jörg meinte, eine 2. Chance geben. Nero war so energielos und matt. Alarmstimmung in meinem Herzen.
Meine Seele schmerzt bis in den Bauch. Seit 4 Wochen habe ich Seelenschmerzen. Kummer, dass er sterben könnte, wenn ich nicht da bin. Kummer, dass er womöglich leiden muss. Schmerzen ,weil er bald nicht mehr da sein würde. Schmerzen in der Seele, weil er irgendwann dauerhaft nicht mehr da sein würde. Dauerhaft. Irgendwann bald kommt der Tag, der erste Tag, von vielen, vielen Tagen, die wir ohne ihn erleben werden.

Ich weiß es und deswegen atme ich ihn ein und aus. Ich streichle ihn sanft, so zwischen den Ohren und Augen, wie er es mag und wärme ein wenig seine Fußballen mit meinen Händen. Ich liebe ihn.

Freitag abend kam Jörg vom Büro nach Hause und brachte ALLE NEROSACHEN aus dem Büro mit. ALLE. Mir war ganz komisch zu Mute.
Samstag war Nero gar nicht dazu zu bewegen, mit uns Gassi zu gehen. No way. In den Garten also, dachte ich. Er stand da, mit leicht gespreizten Beinen, in den Boden gestemmt. Entsetzter Blick von ihm NEIN.  Ok, dann leg’ dich hin Schnucki, du musst nicht raus, wenn du nicht willst,  ich mache dir Hühnerbrühe warm. Er trank Hühnerbrühe mit etwas zerrupftem Putenfleisch. Er liebt Brühen und Suppen.
Am nächsten Morgen, Samstag, war auf einmal alles anders. Ich hatte den Eindruck, dass er sich zurückzieht. Setzte ich mich neben ihn, schaute er in die andere Richtung. Mit Jörg das Gleiche. Jörg hat das sehr verletzt. Ich habe das einfach (unwissend) ignoriert und mich neben ihn gesetzt oder gelegt. Er hatte irgendeinen Schalter umgelegt und damit war der Strom wie abgeschaltet. Es floss nichts mehr. Obwohl er noch da war, klare Äugchen hatte, war die Verbindung , unser Herzensstrom gekappt worden.
Er kommunizierte trotzdem weiter. Ich wusste ganz genau, wann er Durst oder wann er Hunger hatte. Ich brachte es ihm gleich. Ich streichelte ihn, aber ich spürte, dass es nicht an ihn ging. Das war nicht das, was er brauchte. Er wollte eigentlich nur daliegen. Ich nahm das Laptop und setzte mich Rücken an Rücken, damit er merkte, dass jemand da war.
Er stand den ganzen Samstag glaube ich nur ein mal zum Strullen auf. Und das unter größten Mühen. Aber wir glaubten immer noch an das gleiche Wunder, das ihn schon letztes Wochenende, als es ihm noch schlechter ging, wieder zu uns zurückbrachte.
Die Verbindung war weg. Kein Herz-Kontakt mehr zu unserem Neroli. Er hat es einfach abgeschaltet.
In den frühen Morgenstunden am Sonntag hatte er diesen Durchfall. Ich hatte schon Routine darin und blitzartig war das Wohnzimmer wieder gesäubert, er gesäubert und seine Decke gewechselt. Dann erneut. Er stand auf, ging  in Richtung Flur. Kam zurück und legte sich schwer hin. Jetzt entleerte sich seine Blase. Ich rief sofort den Tierarzt aus dem Ort an, erklärte ihm kurz die Situation und wollte, dass er ihm ein Morphiumpräparat spritzt, oder Methadon. Er war noch müde und meinte, wenn er geblutet hätte, wäre Methadon aber ein Medikament , dass die Atmung ungünstig beeinflussen würde. Diskussionen waren das Letzte, was ich mir in einer solchen Situation wünschen würde. Ich sagte, dass die Schleimhäute gut aussahen. Er wollte in einer Viertelstunde da sein.  Neroli schaute in meine Richtung durch mich hindurch ohne Regung. Mir zog sich alles in der Magengegend zusammen. Es durchzuckte mich schmerzvoll. Das waren keine Hundeaugen. Ein Wesen blickte mit riesigen großen Augen durch mich hindurch in die andere Welt. Riesige dunkle weite Augen, schwarz wie ein tiefer See. Er schaute wieder weg.
Die Atmungsintervalle wurden länger und länger. Mir wurde es auf einmal eiskalt, ich rannte zur Garderobe und riss meine Fliesjacke vom Bügel, zurück bei Nero, drückte ich ihn wieder. Die Metallbügel klackerten wie ein leises Glockengeläut  aneinander. Jörg fragte mich entsetzt, was das für ein Geräusch sei, ob ich das auch hören würde, wie Glocken. In diesem Moment ist Neroli gestorben. Wir hielten ihn beide in unseren Armen. Morgens gegen sechs Uhr verließ seine Seele seinen Körper. Wir hielten ihn ganz fest. Er war fortgegangen.
Er lag auf seinem Zweitlieblingsplatz. Ich säuberte ihn vorsichtig. Wir lagerten uns neben der Decke auf der er lag und abwechselnd streichelten wir ihn zart. Wir heulten wie die Schlosshunde. Uns war sehr elend zumute.

Jetzt lag er schon 3 Stunden auf der Decke. Er roch immer noch wie unser Teddybärchen. Er roch immer wie ein Teddy.  Er sah immer noch sehr schön aus. Er sah nicht aus wie ein Hund, der an Krebs gestorben ist. Er war stattlich, muskulös, sah immer noch kraftvoll aus. Er hatte 45 Kilogramm. Und ich war froh darüber. Eine Horrorvorstellung wäre es gewesen, wenn er ausgezehrt, abgemagert und nur noch ein Schatten seiner selbst gewesen wäre. Wir haben ihn so gut ernährt, dass sein Körper ihn bis zum Schluss getragen hat. Seine Kondition war früher außergewöhnlich gut. Das hat ihm jetzt  immer wieder auf die Beine geholfen.
In seinem Leben hatte er schon viermal NEIN, ICH BLEIBE NOCH  gesagt. JETZT IST ES MIR ZU FRÜH.
Als ich uns einen Kaffee machte, und die Sojamilch in den Kaffee goß, geronn sie in Flocken beim Eingießen. Mir schauderte etwas. Sojamilch ist mir noch nie geronnen. Besteht nur aus Soja und Wasser. Aber sie flockte im Kaffee aus. Jörg ging mit Adina Gassi, und als er fort war, fiel Nero’s Lederhalsband von der Garderobe. Ich starrte es an. Ich konnte es nicht aufheben. Ich konnte es nicht anfassen. Jetzt schon, aber in dem Moment nicht.
Die Nachbarin erzählte Jörg später, dass ihre Draußen-Sei-Katze-Michel gegen  sechs Uhr einen fürchterlichen Rabbatz gemacht hätte. Hätte sich gar nicht mehr eingekriegt.
Leises Glöckchengeläut, Katze die verrückt spielt, ausflockende Sojamilch,  herunterfallendes Neroli-Halsband.

 

Jörg sagt manchmal so schöne Dinge. Dass Nero uns randvoll mit Glück gemacht hat. Dass Nero  unser Goldstück gewesen ist. Dass er ein Gesandter des Glücks war. Er hat das Glück gebracht. Er hat auch andere Menschen glücklich gemacht.
Das konnte man sehen. Kinder im Kindergarten, wenn er mit ihnen spielte, Trainer und Ausbilder auf dem Hundeplatz, die gerade erklärten, dass man selber das Spiel mit dem Hund beginnt und selber beendet, sprich die Kontrolle hat, und dabei unablässig für Nero die Kongs warfen, die er ihnen mit voll begeistertem Blick vor die Füße legte... Birgit in der Tierarztpraxis, die ihn schon freudig anblinzelte, wenn er kam. Vielen Menschen hat er das Türchen im Herz aufgeschlossen, und bei manchen hat er offene Türen eingerannt. Viele wollten ihn berühren, ihn streicheln. Als ich mit ihm an der Straße spazierenging, ist es schon mal passiert, dass Frauen am Lenkrad sich den Kopf fast verrenkt haben, und ihn so anschauten, als ob er ein begehrenswerter Typ sei. Birgit hat ihn auch sehr gemocht. . Viele waren von ihm fasziniert, wollten ihm nahe sein. Und sie hatten ihn immer nur einen kurzen Moment lang genossen. Wir aber hatten ihn 11 Jahre minus 1 Woche bei uns. Tagtäglich. Wir haben ihn ein – und ausgeatmet.

 

Ich könnte mir vorstellen, dass seine Seele jetzt da oben ist und hell vor sich hin leuchtet und denen Kraft und Liebe abgibt, die es im Leben nicht so gut hatten wie er. Dann sagt er glücklich und stolz, schaut mal, das da sind meine Eltern, wir haben uns alle immer sehr liebgehabt. Ich hatte es sehr gut bei Ihnen und ich habe sie randvoll glücklich gemacht.
Und wir sagen dann, Neroli, wir haben das Glück mit dir gefunden. Und wir werden dich im Herzen behalten. Du 5. Element.
Jörg’s Vorstellung, dass Nero hier unten ist, gefällt mir auch ganz gut. Er sagt, Nero ist überall. Wenn er überall ist, brauche ich ja eigentlich nicht so unglücklich zu sein. Dann kann ich alles anschauen, mit weniger Schmerz, und alles was ich sehe, ein wenig mehr liebhaben, weil er vielleicht gerade an eben dieser Stelle vorbeigeht.
Wir wollen nicht betrauern, was wir verloren haben. Wir wollen uns voller Glück daran erinnern, was für ein Geschenk er war.
Birgit schrieb, irgendwann wird der Schmerz  auf den Flügeln der Zeit davongetragen und es bleiben die schönen Erinnerungen an eine ganz besondere Zeit.
Nero ist außergewöhnlich gewesen.
Nero ist die Liebe.

 

 

Jetzt müssen wir lernen, was aus dieser Lebenserfahrung gemacht werden kann. Wir werden etwas daraus machen müssen, damit sein Tod einen Sinn hat. Neroli hat mir eine Menge beigebracht. Unter anderem Weltfrieden. Ich kann dieses Wort denken, ohne dass es mir peinlich ist. Er hat mir Weltfrieden gebracht. Mein Kleiner.

 

Seine Welpen-Mama sagte in schwerem elsässischen Deutsch-französisch, Madame, ein Beauceron darf alles! Sie werden sehen! Und wir, nein, nein, zum Beispiel ins Bett dürfte er nie, niemals! Da sind wir konsequent und geradlinig. Wir waren konsequent und geradlinig, aufs Bett durfte er nie, ... nie... er MUSSTE!;-)))    Irgendwann stand der Kleine Knirps vorm Fußende, legte beide Pfoten aufs Bett und sah uns strahlend, bittend, süüüüß an und fragte. Wir schauten uns an, er  hat ja gefragt, und schwups, schon saß er am Fußende und rollte sich ein, als ob er da schon immer gelegen hätte. Dieses Glück und Zufriedenheit lag über unserem Bett wie eine Wolke, eine schöne große Puschelwolke. Wir waren eigentlich entsetzt, wenn er mal unten schlafen wollte. Hat er was? Warum kommt er nicht? Neroli, komm doch hoch... Schwupps, eingerollt, glücklich bin.
Irgendwann nach etlichen Jahren fingen wir dann damit an, dass er im Sommer wegen der Zecken lieber in seinem Bettchen schlafen sollte. Oje, das war komisch. Eigentlich zählten wir schon im Mai die Tage, an denen es wohl wieder kalt werden würde. Mitten in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden schlich er sich dann klammheimlich aufs Bett, legte sich so unauffällig, wie es für einen 45Kilogramm schweren Beauci geht, wieder aufs Bett und ratzte weiter. Wieder ein paar Jahre später hatte er es sich dann angewöhnt, kurz bevor wir wach wurden, wieder vom Bett zu hüpfen und sich fragend vor’s Bett zu stellen, ob er jetzt wohl wieder hoch kommen dürfte. Der Schlawiner.
Oder er gähnte und seufzte dann so laut am Wochenende, dass wir wach werden mussten. Das war nicht zu überhören. Wir waren ein Triplett, ein Dreiergespann, eine Troika. Wir waren ein vor lauter Glück strahlendes Dreigestirn. Adina war die Vierte, aber für Adina waren Jörg und ich nicht relevant, nur Nero. Sie war nur „dabei“, wenn es rausging in den Garten oder zum Spaziergang oder Gassi.  Und auch draußen orientierte sie sich nur an Nero oder gestaltete den Spaziergang nach ihrem eigenen Gusto. Nero Jagen war eigentlich ihr Liebstes. Sie jagte ihn ihr ganzes Leben lang, wenn er auf der Jagd nach seinen Kongs war. Sie hat ihn niemals bekommen, weder Nero eingeholt noch den Kong bekommen. Manchmal hat sie ihn dann genervt in die Vorderpfote gezwickt. Mit der Zeit kannte er das schon und zog automatisch grinsend sein Bein weg, wenn ihr Kopf sich in die Richtung bewegte. Was er auch gerne machte, sie an ihren Riesen-Briard –Ohren zu ziehen. Er zog sie am Ohr, biss ihr liebevoll in die Halswolle, bis sie innerhalb kürzester Zeit, verfilzte Ohren und einen verfilzten Hals hatte. Sie roch früher immer nach nassem Wollpulover.
Was man alles lernt, wenn man ihnen beim Spielen und Show-Kämpfen zusieht. Die Sprache der Dominanzgesten, Beschwichtigungsgesten, Reizgrollen, genervt sein-Gesten bei Adina;-) und das Beste war immer, wenn Nero sich beim Kämpfen dann lustlos auf die Seite gelegt hatte, weiter grollte und sie leidenschaftslos ins Bein oder in den Hals biss, so als ob er ihr den Kampfspass nicht nehmen wollte. Adina merkte das irgendwie nie. Sah lustig aus. Er war so winzig, und war ihr doch irgendwie mental überlegen.
Als die Beiden noch kleiner waren, waren Spaziergänge oft sehr stressig. Man hatte immer ein Rüdenradarwarngerät an der Stirne kleben. Es gab Karnickel. Es gab rennende Rehe. Es gab Katzen. Es gab Mäuse. Alles, was eben kleinen Nerolis und Adinas so Spaß gemacht hätte, zu erjagen... Und er war schnell wie eine Rakete, stark, muskulös, ich glaube er hätte es geschafft, bis zum Melibokus durchzurennen. Ich nicht...

 

 


So ändert sich das Weckverhalten. Als er noch klein war, stand er vorsichtig am Bett und hauchte Jörg ganz zart ins Gesicht oder an den Arm. Die angehauchte Stelle erwärmte sich ganz sachte durch mehrfaches Hauchen, soooo zart, dass er ganz vorsichtig wach wurde. Etwas älter dann  sprang er aufs Bett, freute sich wie verrückt und wedelte, was das Zeug hielt und lachte und strahlte und freute sich wie verrückt. Er freute sich, sprang vom Bett, wenn wir aufstanden, und die morgendliche Begrüßung war noch lange nicht zu Ende... Er spielte uns an und war schon gut drauf, bevor der Tag  losging.
So mit den Jahren hatte es sich dann so eingespielt, dass er außer im Sommer am Fußende schlief. Dauerte es ihm am Wochenende zu lange, sprang er vom Bett und gähnte und atmete und seufzte so laut, dass wir wachwurden. Dann sprang er ins  Bett und schob seine dicke Nase unter meinen Arm, schnickte ihn hoch, stupste mich, bis ich mich in die (für mich) falsche Richtung bewegte und schwupp der nächste Stupser, schon war ich aus dem Bett, weil es zu ungemütlich wurde. Er ging mit ins Bad, hatte wahrscheinlich schon Fressi-Visionen und raste wie Johnny-Rakete dann mit nach unten in die Küche. Die Fressi-Vorbereitungen waren zuerst dran, damit das Futter etwas weichen konnte. Er ist als Kleiner so oft über die Schüssel hergefallen, schon während ich sie platzieren wollte, dass ich es ihnen angewöhnt hatte, erst mal abzuliegen, bis die Schüsseln in dem Ständer waren. Dann dauerte es bei Neroli noch ca. 5 Sekunden, und die Schüssel war ausgesaugt.
Trockenfutter. Das FastFood der Hundefutterindustrie. Für fast 11 Jahre.
Die letzten 3 Monate hat er täglich ein Kilogramm Tatar bekommen, frisches püriertes Gemüse, Karotten, Broccoli, rohe Eier, zerkleinerte Eierschalen, Hüttenkäse, Käsestückchen, Müsli, Hanföl, Himbeeren, Hühnerinnereien und Hälse, Leber, Kopffleisch vom Schlachter, und und und. Ich würde mich am liebsten bei ihm für meinen Futter-Dogmatismus bei ihm entschuldigen. Dafür hat er dann die letzten 3 Monate nur das Beste vom Besten bekommen. Und wie es ihm geschmeckt hat! Er hätte sich manchmal am liebsten in die Schüssel geworfen. Es gab für ihn viele kleine Mahlzeiten am Tag, damit die Leber nicht so belastet würde, und er hatte viele Male am Tag einen Riesenspaß beim fressen. Unser geliebter Neroli.
Neroli...

 


Im Laufe der Jahre habe ich gemerkt, was er nicht so mag.
Es hat ihn nervös gemacht, wenn bei leichtem Durchzug im Haus die Türen zu klackten. Er ist dann ganz hektisch geworden und in den HWR, in die Toilette  oder manchmal auch in den Keller gerannt.  Oder wenn ich beim Putzen irgendwo die Fenster öffnete oder Balkontüren, kam er sofort angerannt, auch aus dem Erdgeschoß und hat sich zwischen Fenster und mich gestellt. Ich konnte manchmal gar keine Läufer ausschütteln, weil er es fast verhinderte. Im Schlafzimmer bei der Balkontüre das gleiche. Er kam rasch auf den Balkon gelaufen und stellte sich zwischen Balkonmauer und mich. Und er mochte es überhaupt nicht, wenn bei offenen Terrassentüren der Wind durch’s Wohnzimmer ging und die Gardinen leise rauschend hin und her bewegt wurden. Dieses und die jährlichen Silvesterknaller und Heuler, das waren die einzigen Sachen, die er nicht mochte.  Aber, wenn ich darüber nachdenke, hat die Geräuschempfindlichkeit in den letzten 2 Jahren sehr stark zugenommen.
Der Süße. Mein Kleiner Kamerad.

 


Ich denke an seinen wärmenden Blick. Dieser warme Blick, souverän, in sich ruhend, Glücksgefühle erzeugend, Liebe zeigend, warmherzig, verstehend. Ein Strom von Gefühlen, der da zwischen unseren Augen und Herzen hin und her floss. Diese Bernsteinäugchen, die für die Gegenwart und die Zukunft davon sprechen, ICH LIEBE DICH SO WIE DU BIST. FÜR MICH BIST DU  EINZIG. Man schaute Neroli an und war glücklich. Einfach nur glücklich. Randvoll.

 

 

Es gibt eine Zeit des Miteinanders,
eine Zeit des Abschiednehmens,
eine Zeit des Schmerzes und der Trauer,
und zuletzt eine Zeit der liebevollen Erinnerung ...

 

Er hat mich geliebt und ich habe ihn geliebt. Diese ruhige Gewissheit gibt mir Kraft und innere Stärke. Und mit diesem Gedanken werden jetzt noch viele schöne Geschichten folgen.

 

 

Ende Januar: Blutung, Milzextirpation
S0 4.April Leberblutung und Wochenende 10. Und 17. April Leberblutung
24. /25. Sa Krise (Leber?)
1.Mai Sa Pfungstadt Beauci-Treffen Uli, Ela, Karin und Klaus kennengelernt
So. 2.Mai gegen 06:00 Uhr von uns gegangen (1 Woche vor seinem 11. Geburtstag)
Do 6.Mai Zum ersten Mal seit Wochen regnet es, und den ganzen Tag. Die Schleusen haben sich geöffnet. Es steht alles unter Wasser. Vor dem Donnerstag und nach dem Donnerstag kein Regen.
Am Freitag 7.Mai holen wir Nerolis Asche ab. Wir erfahren, dass er am Donnerstag den 6.Mai verbrannt wurde.
Samstag 8.Mai morgens in der Frühe. Wir sind sehr traurig. Jörg hat ein neues Loch für die Zierkirsche ausgegraben und vorsichtig lassen wir die Asche hineinrieseln. Es war windstill.  Wir setzen den Busch hinein und legen noch Nerolis Kong dazu. Wir geben wieder Erde hinein und Jörg legt oben auf die Erde noch aus weißen Steinen zwei Herzen nebeneinander und dazu noch die kleine Solarlampe, die aussieht wie ein Gartenstein. Jetzt wird der Busch nachts angeleuchtet.
9.Mai So Nerolis 11.Geburtstag. Ein Tag, an dem Trauer, Leid und Freude ganz nah beieinander liegt. Jörg bekommt von Uli den Link einer französischen Züchterin geschickt, die ebenfalls in  Pfungstadt war und deren wunderschöne Beauci-Hündin wohl trächtig ist. Wir schauen uns die Hündin im i-Net an. Es ist die erste Beauci-Hündin, die uns als Female gefällt. Cyrcee. Eine starke Hündin mit einer Ausstrahlung, die einen umwirft.
Und dann sehen wir den fast schwarzen Deckrüden. Wir haben beide angefangen zu weinen. Ein Rüde, der das in den Augen hatte, wonach wir suchen. Wir haben uns etliche Bilder von ihm angesehen, eine Ähnlichkeit zu Nero schien in einer Art und Weise da zu sein, die wir uns nicht erklären konnten. Er hatte etwas mit Nero gemeinsam.
 Ich sah mir seinen Stammbaum an und sofort fiel mir der Name seines Urgroßvaters ins Auge, HORUS DE LA POINTE AUX HERBES. Ich sagte sofort zu Jörg, dass ich den Namen kenne, dass er auch in Neros Stammbaum auftaucht. HORUS. Ich konnte mich sofort daran erinnern, dass ich HORUS in einem Beauci-Buch von Alexandra Menzel gesehen hatte. Wir suchten fieberhaft Neros Stammbaum, dann Alexandras Buch.
Es stimmte. Nero und Turbo de la Negresse haben einen gemeinsamen Urgroßvater. Der auch vom Gesicht her so markant war, das ich genau wusste, dass und wo ich ihn schon mal gesehen hatte.
Und diese wunderbare Cyrcee trug lauter kleine Welpen in sich, die alle etwas von den Genen in sich trugen, die auch Nero in sich hatte. Eine wundervolle Perspektive.  
Wir riefen suchten fieberhaft nach ihrer Telefonnummer und riefen sie an. Nur die Mailbox. Sie waren bestimmt auf einer Ausstellung. Jörg schrieb eine Email. Ich wollte mich noch nicht freuen dürfen. Von Uli erfuhren wir nämlich, dass  diese Welpen sehr begehrt sein würden. Oje, und dann wir als Deutsche...Lothringen...
Sie rief mittags an, als wir auf Lothars Gelände waren. Sie klang sehr nett und schlug einen Gesprächstermin für abends vor. In der begleitenden Email sagte sie uns, dass wir am Samstag auf einen Besuch kommen könnten. Oh wie wir uns freuten.
Wir überlegten uns genau die Fragen für abends. Das wichtigste für uns war, eine Art Reservierungsrecht zu erhalten. Das wir die diejenigen sein dürften, die die freie Auswahl haben. Vielmehr, genau andersherum! Wir wollten gerne die ersten sein, unter denen sich ein einziger Welpe einen neuen Papa und eine neue Mama heraussuchen würde.
Ela hat sich stark für uns eingesetzt. Sie hatte Edwige in Pfungstadt kennengelernt und die beiden möchten sich wohl. Ela schrieb an  Edwige eine Email, in der sie unter anderem erzählte, dass Jörg mit Beaucis arbeitet. Für Züchter ist es sehr wichtig, dass Hunde zu Arbeitshunden ausgebildet werden.
Abends am Telefon. Sie sprach wohl genauso gut englisch wie sie es schreiben konnte. Sie sagte zu Jörg, dass wir die FREIE AUSWAHL HÄTTEN, UND AUF DER AUSWAHLLISTE AN ERSTER STELLE STÜNDEN, WEIL JÖRG MIT DEM BEAUCI ARBEITEN WÜRDE.
Das war unfassbar. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Das war ja wie in einem Märchen. Wir durften diejenigen sein, die sich als erste den Welpen erwählen dürfen, der sie zuerst erwählte. Als Deutsche. Als Leute, die bestimmt irgendwo ganz hinten auf der Warteliste gestanden hätten, wenn Jörg kein Hundesport machen würde.
Wie im Märchen.
 Horus. Nero. Enzo.
Enzo? Ist die italienische Form von Vincenz, der Sieger. Solange wir noch keinen anderen Namen haben, nenne ich ihn mal Enzo.

 

 

Gestern abend haben wir im Bett ein kleines iPhone-Video von Nero betrachtet. Ich konnte mich genau an diesen Spaziergang nachmittags erinnern. Die Gefühle waren sofort wieder da. Seelenschmerz, Kummer und Sorge, dass er bald nicht mehr da sein würde, Freude, dass er noch so herumrannte, Angst, dass es passieren würde, wenn ich nicht da wäre. Ein Seelenschmerz, der in jeder einzelnen Faser meines Körpers präsent war. Nahezu 4 Wochen tagtäglich. Ein tiefer Schmerz. Schmerz, Kummer, Sorgen, seine schwindende Kondition festzustellen. Körperlich sah er so gut aus, wie immer. Aber mein kleiner Klitschko hatte draußen in den letzten beiden Wochen, so ab Donnerstag immer, konditionell sehr abgebaut. Ich sah ihn wie einen Human- Krebspatienten, dessen Energien nun langsam schwinden, der nie mehr gesunden würde. Und meine Aufgabe nun war es, jeglichen Stress von ihm fern zu halten. Ich habe versucht, seine Stressfaktoren so gut wie möglich zu detektieren und danach zu Handeln.


Geliebter Neroli... wenn ich den Holzlachgraben entlang fahre, sehe ich dich immer. Wie du auf dem Weg entlang galoppiert kommst, mir fröhlich zurufst HALLO MAMA, innehälst, mir nachschaust. Am Ende vom Weg sage ich dann immer TSCHÜß MEIN KLEINER und du galoppierst weiter. Du bist niemals traurig dabei.

Mein kleines Herzblatt. Wie sehr ich dich liebe. Zwischen unseren Herzen floß ein goldener Strom der Gefühle. Wie ein Sonnenstrahl, der aus funkelnden, goldenen Teilchen bestand.
Wenn ich irgendwo lief, warst du mein Schatten und du wusstest oft genau, wo ich hingehen würde. Wir haben uns verstanden.


Jörg meinte gerade, wie ich eigentlich auch finde, ENZO ist schon ganz gut. Aber wir suchen nach einem Namen für ein 5.Element.  Wäre es eine Beauci, würden sie sie ohne Frage LiLou nennen. LiLou. Ich lachte, du hast also schon den einzig richtigen Namen für eine Beauci, aber wir haben noch keinen für einen Beauci? (Er möchte ja unbedingt zuerst einen Rüden, und später eine Beauci) Stimmt, wir suchen das Pendant zu LiLou. Aber vielleicht brauchen wir ja gar nicht mehr zu suchen... Für den Moment... lachte ich und sah am Telefon sein verdutztes, abwehrendes, Lächeln...


Wer weiss das schon, was noch so alles geschehen wird... das ist wie ein Silberstreif am Horizont.
Ich kann es irgendwie noch gar nicht alles so glauben. Schulterzuck...

 

 

Heute ist der 20. Mai. Am 17.Mai habe ich auch an den 17. Mai gedacht. Jörg ist in Köln und ich brauche mich nicht zusammen zu nehmen. Ich habe den ganzen Nachmittag und Abend geweint. Ich bin voller Trauer. Mein kleines Herzblatt, ich vermisse dich sehr. Neroli, du wirst nie wieder da sein. Das ist irgendwie noch nicht fassbar.  Wenn ich an die vielen Tage denke, an denen du  nicht auf mich zu laufen wirst, mit Begeisterung in den Augen, mich stupsend, das scheint unvorstellbar. Du hast mich daran gewöhnt, dass man Glück atmen kann. Einatmen und ausatmen.

Ich kann auf einmal verstehen, warum die Lebenden sich Nischen schaffen, und Riten, was dem Andenken an die Nicht Mehr Lebenden dient. Nicht, dass ich das machen wollen würde. Aber ich kann es jetzt nachvollziehen.  Und warum der Gedanke der Seelenwanderung aufkommt.
Man sieht vieles auf einmal anders. Das Leben. Das Privileg des Glücklich-sein-dürfens. Warum bin ich eigentlich nie doppelt so lange mit Nero spazierengegangen, er hätte auch Spaß an zwei großen Spaziergängen gehabt.
Da wäre er doppelt glücklich gewesen. Glücklich sein. Jetzt sitze ich an denselben Tisch, wie am Anfang, als ich zu schreiben anfing. Ich bin von meinem Lieblingsplatz einen Platz nach links gerückt, weil ich so die Zierkirsche sehen kann. Ich habe es sehr geliebt, zu schreiben, und dich an meiner linken Seite liegend zu wissen. Da habe ich schon geahnt, dass unser Glück nur noch von kurzer Dauer sein würde. Ich habe dich ganz bewusst angesehen, gestreichelt, und dich ein- und ausgeatmet. Mir war schon klar, dass jeder weitere Tag mit dir einmal die Tage sein werden, an die ich sehnsüchtig zurückdenken werde.


Ich weiß nicht, wo du bist. Wenn du dort oben irgendwo bist, dann strahlst du bestimmt als helles Sternchen irgendwo und wunderst dich, weshalb wir so traurig sind. So hast du uns nie gekannt. Nerolette, Süßi, Schnuckchen, mein Herzblatt. Meine Trauer ist groß. Ich sehne mich nach deinem Blick, der Wärme, die davon ausging. Ich sehne mich nach dir, ich möchte dich so gerne in den Arm nehmen, meinen Kopf in deine Schulter drücken, deine Ohrspitzen wieder küssen  und mit den Fingern zwischen den Ohren senkrecht hinunter zu den Äugchen streicheln, so, wie du es magst.
Heute bin ich voller Trauer. Vielleicht, weil ich mich nicht zusammen nehmen brauche.
Neroli, manchmal ächzt mein Herz vor lauter Trauer. Meine Seele ist ganz wund von diesem stillen, innerlichen, trockenen Weinen.
Langsam wird mir klar, dass du nie, nie, nie mehr wieder kommen wirst. Laut weinen ist besser als still in sich hinein zu  weinen. Neroli.
Ich umarme dich.
Ich bin heute ein Jammerläppchen.
Ich gehe jetzt mal wieder...


26. Mai Es regnet draußen immer wieder mal sehr, sehr stark. Ich vermisse dich so sehr Nero.  Terrassentüre geöffnet, es regnet ganz stark. Ich lehne meinen Kopf an die geöffnete Türe und atme die Luft tief ein. Ganz langsam und ganz tief. Das Bäumchen betrachtend. Es ist sehr gewachsen, hat ja auch oft geregnet. Ich würde mich am liebsten unter die Zweige kuscheln, neben die zwei Herzen aus Steinen geformt. Dann wäre ich dir nahe. Ich stelle mir vor, wie du gerade um die Ecke kommst. Neroli, komm doch rein... Mama ich kann nicht reinkommen. Meine Beauci-Freundin wartet auf der Wiese dort. Na gut Neroli. Genau, davon hast du uns ja schon mal erzählt. Neroli warte, ich liebe dich. Ich weiß Mama. Ich liebe dich auch.


Zeitsprung in die Vergangenheit.
Eines Tages hatte ich irgendwo von einem Duft namens Neroli gelesen. Ich fand das toll. Neroli als Duft. In Österreich in einer Apotheke erstanden wir dann ein Fläschchen Duftöl, von dem eine der Komponenten NEROLI hieß. Ich glaube, ab diesem Zeitpunkt nannten wir dich immer nur noch Neroli. Das war etwas Besonderes. Wir mussten es einfach kaufen, weil die Namensverniedlichung einfach gut passte.

 


Ich reise gerne zu dir in die Vergangenheit. Stimmt, da bist du schon lange nicht mehr. Aber da können wir uns noch treffen. In der Gegenwart können wir uns nicht mehr treffen.
Nachmittags, du liegst auf der Couch. Köpfchen auf dem Kissen, Blick in den Flur. Halbgeöffnete Äugchen.  Ich komme ins Wohnzimmer, wie immer, breite meine Arme aus, wie oft, und lege sie um deinen Hals und küsse dich zwischen deine Öhrchen und auf deine Ohrspitzen.  Wie so oft. Und atme dich ein. Wie immer.
Ich gehe in den Flur, ziehe die Wanderstiefel zum Spazieren gehen an. Lippenstifthülse klackt. Aha, mein Schnucki springt auf und freut sich, tanzt und springt, freut sich wie verrückt, ja Gassi. Ich verbinde die Leine mit seinem Halsband, Dini, komm, Gassi. DINI, aufwachen, Gassi. Ins Feld geh’ freu’ Bienenbaum ACHTUNG Rüdencheck und dann aber losgelaufen Nero freu. Nero lief immer mit seinem Kong springend zur Wiese an der Schnapsbrennerei, blieb dort stehen und eröffnete das Spiel. Kongweitwurf, grins. Mit zunehmendem Alter habe ich den Kong dann nicht mehr endlos oft geworfen... Dann sind wir weitermarschiert, an dem Grundstück vorbei mit den Pferden zum Wassergraben. Dort dann links, und entweder zur Gedichtwiese oder noch ein paar Schleifen in Richtung Napoleonwald gedreht. Das war die Route, mal mit mehr, mal mit weniger Schleifen. Die ganzen Jahre.

 

 

 

Die Zeit nach der Magendrehung ist mir noch ganz stark in Erinnerung. 2008 Es war stierheiß und der einzige Ort auf den Feldern, wo man länger verweilen konnte, ohne einen Sonnenstich zu bekommen, war auf dem langen Weg vor dem Napoleonwald. Wir blieben dort immer ganz lange, und wanderten langsam mit dem schmaler werdenden Schatten. Spielend. Das war für mich eine ganz intensiv gelebte Zeit mir dir. Diese Sorge, du könntest es nicht überleben, dieses krass schöne Wetter, dass war sehr intensiv alles.
2010 Der April mit seinem stahlblauen Himmel, mit diesem reinen Wetter, die gleichen Sorgen, aber dieses Mal mit der Gewissheit, dass es unumstößlich ist. Getragen von der schmalen Hoffnung, dass du vielleicht doch noch mal durchschlupfen könntest. Hoffnung und Gewissheit. Kann man gar nicht logisch erklären, aber beides hat nebeneinander in meinem Herzen gewohnt. Ich habe mich neben ihn auf dem Teppich gelegt, Arme auf ihn gelegt und wusste, dass dieses bald ein Stück Erinnerung sein würde. Ich wusste es. Ich habe zu ihm gesprochen. Und gleichzeitig gehofft, dass wieder alles gut wird. Eine Art Verband für die schmerzende Seele.
Er hat starke Empfindungen hinterlassen. Es sind nicht so sehr die Erinnerungen an bestimmte Momente. Er hat einen angeschaut und man hat glücklich zurückgeschaut. Wo er war, war meistens eine Glückswolke, wenn man sich darauf eingelassen hat. Sie war nicht immer spürbar, aber sofort da, wenn man nach ihr griff. Das war es eigentlich.
Cauda-/Bandscheibe. Rückenprobleme. Muskelhypotrophie an den Hinterbeinen. Spalt vorne im Gelenk. Schatten in der Prostata. Magendrehung. Milzruptur. Leberblutungen. Leberkrisen. Und immer ein Goldschatz. Immer ein Glücksquell. Immer hast du uns in deine Glückswolke gelassen.
Wo magst du jetzt wohl sein?
Auf der Wiese, unter einem schattenspendenden Baum, mit deiner Beaucilette? Ich denke an dich. Genieße alles mein Kleiner.
Du hast uns alles, alles über Liebe und Glück erzählt, aber du hast uns nicht erzählt, wie es ohne dich sein wird. Ich möchte so gerne, dass dieses gute, starke Gefühl wie eine Fackel in meiner Seele leuchten könnte. Und für immer da ist. Dass etwas von dir hier unten ein wenig weiterleuchtet. Ich möchte gerne wieder mit dir glücklich sein können.
Wir haben es die ganze Zeit über gewusst, du warst ein Geschenk. Möglicherweise warst du eine Leihgabe. Wenn du ein Geschenk warst, dann hätten wir dich gerne noch länger behalten dürfen. Aber, du hattest genügend körperliche Gründe, ... ich weiß...  Und das Schlimmste, der rechte Herzzipfel, ist dir und uns erspart worden. Das hätte uns sonst unsere Herzen zerrissen.
Und wenn du eine Leihgabe warst, haben wir dich gut behandelt und mit unserer Liebe angefüllt zurückgegeben.
Nerolette.
Jetzt werde ich mit Adina ein GoodNightGassi machen.
Nerolette.
Wir lieben dich. Ein und Ausatmen. Mein Teddybärchen. Du hast uns nicht erzählt, wie es ohne dich sein würde.
Und wir haben nicht gewusst, dass es sich so anfühlen würde........... nicht so...

 

 

Vielleicht habe ich das schon erwähnt? Urlaub... wenn wir in den Urlaub gefahren sind, fing die Wohlfühlzeit schon im Auto an. Kurze Zeit nach dem Losfahren lag schon sein Köpfchen auf der Mittelkonsole und wir streichelten ihn abwechselnd. Wir schauten uns glücklich an. Er war einfach zuckersüß. Abwechselnd lag sein Kopf bei mir oder bei Jörg unter der Achsel, oder er hauchte mich an, oder warf seinen Kopf vehement gegen meinen Oberarm. Und abwechselnd waren wir beide neidisch, wenn gerade der andere Nero’s Gunst erhielt.  
Bei der Ankunft am Weissensee war es eine Freude, seine Freude zu sehen. Er sprang wie ein junges Fohlen auf der Wiese herum und rannte und flog nahezu. Unbändige Freude. Er liebte Urlaube. Und nach ein paar Tagen sammelte er wieder Kräuter... selektiv zupfte er zart Kräuter aus der Wiese, die ihm sehr zu schmecken schienen. Alles war gut. Alles war schön. Alles war Frieden...

 

 

Ich habe nie wirklich daran gedacht, wie es sein würde, wenn er mal nicht mehr da sein würde. Diesen Gedanken gab es einfach nicht. Ich glaube, ich dachte, dass er immer bei uns sein würde. Ja, schon, 13 bis 15 Jahre, aber die für immer und ewig. Irgendwie halt in die Richtung gedacht.

 

 


Der erste Urlaub seit 11 Jahren ohne ihn. Am schönsten Ort, den es für uns alle gibt. Viele Leute fragen nach ihm, und es gibt tränenreiche Antworten. Wir nehmen uns vor, lauter Dinge zu machen, die wir sonst niemals unternommen hätten. Seilbahn fahren zum Beispiel, und oben angekommen dann weiter wandern zur nächsten Almhütte. Oder, am nächsten Donnerstag für einen ganzen Tag lang an geführten Wildbeobachtungen teilzunehmen. Ich bleibe dann mit Adina zuhause, sie ist zu klapprig für so was und mache die Tour dann im September mit. Wir machen jetzt viele Dinge spontan, anders als sonst. Es ist sehr traurig, er fehlt uns sehr. Aber weil es gleichzeitig auch der schönste Ort ist, an dem wir immer sehr, sehr glücklich waren, macht es uns doch auch ein wenig  glücklich. Die Schönheit der Landschaft und die Ausstrahlung tröstet uns, sogar wenn es regnet.
Wir reden viel von ihm.
Jörg redet sehr viel in Gedanken zu Nero. Die Nähe, die dadurch aufgebaut wird und der erfühlte Verlust, weil er ja nicht da ist, führen unweigerlich dazu, dass man noch trauriger wird.
Zuhause hatte ich mir anfangs immer vorgestellt, dass er noch da sei, nur eben unsichtbar. Ich habe ihn auch mal mit ins Labor genommen. Und dass er mir draußen auf einem bestimmten Weg entgegen gelaufen kommt. Immer wieder bei meiner Heimkehr. Das hat mich mit der Zeit aber so fertig gemacht, dass ich das lieber gelassen habe. Ich war eine Zeitlang wirklich der Ansicht, dass ich ihn unsichtbar überall  hin mitnehmen könnte. Nur um dieses Glücksgefühl, dass von ihm ausging, wenigstens ein klein wenig zu spüren. Zum Schluss wäre ich fast depressiv geworden.
Dieses körperliche Heranholen macht einen fertig.
Wir haben in den ersten zwei Urlaubstagen viele Bücher über den Verlust eines Hundes und wie man damit umgehen kann, gelesen. In dem einen Buch stand etwas sehr Schönes. Sie stand am Grab ihres Hundes und wollte wissen, ob er einverstanden wäre, wenn sie einen neuen Welpen hätte. Und hoffte auf ein Zeichen. Dann stellte sie sich die Situation anders herum vor. Wenn sie im Grab läge und ihr über alles geliebter Hund käme um zu fragen, ob er sich neue Eltern aussuchen dürfte, na dann wäre sie überfroh und würde sagen, ja, Schätzchen, ja, natürlich darfst du.
Man wünscht dem über alles geliebten Zurückgebliebenen, dass er nicht mehr unglücklich ist und es ihm wieder gut gehen möge.
Ich weiß nicht, wo Neroli jetzt sein mag. Aber ich finde es enorm beruhigend zu wissen, dass er auch wollen würde, dass es uns wieder gut geht.
Ich habe Kognition bei Tieren gegoogelt und bin auf Standardtests bei Tieren gestoßen. Max Plank Studie. Es wurde getestet, wie Primaten auf Zeigegesten reagieren. Nämlich gar nicht. Einer der Anwesenden sagte, dass so was sogar sein Hund könne... das ergab einen neuen Forschungsauftrag für ihn mit dem Resultat, dass Hunde dieses in der Tat können. Der Erklärungsansatz dafür war entwicklungsgeschichtlich. Man forschte mit Hunden weiter und testete diese Fähigkeit dann auch an Wölfen. In dieser Max-Planck-Studie stand, dass Wölfe die Zeigegesten NICHT interpretieren. Das stimmt aber nur bedingt. In einem WSC-Bericht habe ich gelesen, dass die vergleichende Forschung an Hunden und Wölfen ergab, dass lediglich die Jungwölfe Zeigegesten nicht annehmen, die älteren aber schon. So gegensätzliche Aussagen können Studien liefern... In dieser MP-Studie wurde dann die Erinnerungsfähigkeit getestet. Es gab Hunde, die konnten über 200 Spielsachen anhand des Namens zuordnen.  Einige, ganz wenige waren dabei, die konnten noch mehr als die anderen. Man testete die Fähigkeit, neue Spielzeugnamen über ein Ausschlußverfahren zu lernen. Indem man zu einer Unmenge von bekannten Spielsachen ein nicht Bekanntes legte. Dieses dann mit Namen benannte und dem Befehl „Bring’s“. Es gibt einige, wenige Hunde, die Rückschlüsse ziehen können, dass es sich nur um den unbekannten Gegenstand bei dem Gesuchten handeln kann. Der Autor beschrieb, dass jeder tunlichst das Wort Intelligenz vermieden hatte. Beim nächsten Kognitions-Test ging es um die eigene Wiedererkennung. Primaten erkennen sich wohl im Spiegel wieder, weil sie einen geschminkten Fleck an sich entfernen. Jetzt kommt das Beste, und es ist kein Scherz, bei Schweinen hat man das auch versucht, und hallo, die haben nicht versucht, den Fleck zu entfernen. Bei diesem Versuch handelt es sich laut Autor um einen Standardversuch. Also, entweder können sich Schweine nicht im Spiegel als sie selbst erkennen, ODER, das halte ich für wahrscheinlicher, es ist ihnen sch...egal, ob sie dreckig sind.
Also, anscheinend gibt es einige, wenige Hunde, die in der Lage sind, Rückschlüsse zu ziehen. Das finde ich cool. Hab’ die Studie abgespeichert unter KOGNITION HUNDE MPSTUDIE.
Warum testet man nicht die Hunde weiter, die in der Lage sind, Rückschlüsse ziehen zu können? Ich stelle mir das total spannend vor. Aber bei diesen Forschungsgeschichten um Kognition geht es eher um die Primaten.
Stelle man sich nur mal ein Kleinkind vor, dass einen Erwachsenen zum Spielen animieren will. Der Erwachsene will nicht. Verweigert sogar das Anschauen des Kleinkindes störrisch und mürrisch 2 Tage lang. Da nimmt das Kleinkind, das gerade erst krabbeln kann, alle Spielzeuge und legt sie um den Erwachsenen im Kreis herum. Fiktion? Nein. Es handelt sich um Nero und Adina.

 


Weißensee, Naggl 2.Juni 2010 23:21Uhr    Der Tod ist so was von endgültig... Gerade war ich mit Adina noch mal Gassi, Jörg ist noch in der Bar bei den anderen geblieben. Gassi allein mit Adina. Nero, wo bist du. Ich möchte dich so gerne ansehen, in deine Augen blicken, Blickkontakt haben, mich wohl fühlen in deiner Nähe. Neroli, komm, noch einmal streicheln, in deine Augen blicken...wir lieben dich so sehr Nero. Neroli unser Herz ist voller Trauer und Sehnsucht nach dir.
Nahtoderlebnisse. Wirklich nicht real, sondern eine Art Sterbeprogramm für die Menschen?  Welchen selektiven Vorteil bringt ein Schöner-Sterben-Programm? Kann ja nicht mal vererbt werden, wenn ein Programm schöner als das andere sein sollte. Die Konkurrenz unter bestehenden Sterbeprogrammen könnte SCHÖNHEIT IN DER ABGANGSPHASE  sein. Aber ein  qualitativ schöneres Sterben könnte ja nicht mal mehr an die Nachkommen vererbt werden. Kein selektiver Vorteil.
Die Vorstellung, dass Nahtoderlebnisse der Realität entsprechen, ist logisch konsequenter als die andere Annahme eines Schöner-Sterben-Programmes.
Ich belese mich jetzt im Urlaub viel aus Büchern und Internet über’s Barfen. Das lenkt mich ab, ich habe ein Ziel und ich stelle mir schon das Welpchen vor. Aber, meine Ruhe finde ich in den Gedanken an Nero.
Der Tod ist endgültig. Endgültig war mir vorher nicht klar. Solange Neroli noch da war, war ENDGÜLTIG noch weit weg. Jetzt ist er fort und endgültig wird mir in seiner vollen Wucht der Bedeutung auf einmal klar.
Endgültig heißt: Trauer wird keine Erlösung finden, weil er nicht mehr an der nächsten Ecke auftauchen wird. Schmerz wird keine Linderung erhalten, weil er nicht kommen wird, um mich mit seinem Atem anzuhauchen. Verzweifelte Tränen werden heiß die Wange herunter laufen, ohne dass sie von Neroli weggezaubert werden können. Alle meine Schmerzen werde ich aushalten müssen. Das ist endgültig. ENDGÜLTIG ist ein Wort, dass akzeptiert werden will. Mit ENDGÜLTIG muss man, glaube ich, Frieden schließen.